Recruitment Process

Warum Unternehmen Mühe haben, geeignetes Personal zu finden

Interview mit Weiji Stocker von Recruitment Process GmbH und Vanessa Hunkeler-Bolliger von Refline AG

Weiji, welche Herausforderungen begegnen Unternehmen heutzutage in der Rekrutierung von neuen Talenten?

Die grösste Herausforderung für Unternehmen ist, dass sie wenig bis keine qualifizierten Bewerbungen erhalten. Die geringe Anzahl an Bewerbenden, die den Kriterien des Unternehmens entsprechen, macht den Firmen in der Rekrutierung am meisten Kopfschmerzen. Natürlich spielt es eine grosse Rolle, was für eine Position rekrutiert wird. Seit der Pandemie gibt es Firmen, die noch mehr Mühe haben, geeignetes Personal zu finden als vorher. Firmen, die vor der Pandemie auf ein zeitgerechtes Recruiting Wert gelegt haben und einen starken Brand haben, kommen besser davon.

Der Zustand des Fachkräftemangels veränderte sich innert kurzer Zeit von akut auf chronisch. In Branchen wie im Detailhandel, in der Hotellerie, IT oder im Gesundheitswesen wird sehr stark mit dieser Problematik gekämpft. Im Gesundheitswesen zum Beispiel, geht es so weit, dass die Kandidaten diktieren, wie hoch das Gehalt sein muss. Wenn sie dies nicht bekommen, gehen sie zum nächsten Arbeitgeber, der ihnen die Zusicherung macht. Dabei spielt es keine Rolle, wie das Arbeitsumfeld oder der persönliche Match ist. Es ist keine Seltenheit, dass eine Vakanz für viele Monate unbesetzt bleibt, weil Firmen nicht die passende Person finden. Es kommt sogar vor, dass eine Fachkraft eingestellt werden muss, obwohl sie von der Persönlichkeit nicht zum Team passt. Hauptsache die Position ist besetzt und die Hard Skills sind vorhanden. Da sind die Vorgesetzten in der Führung stark gefordert.

Was hat zu diesen Herausforderungen in der Rekrutierung geführt?

Es gibt verschiedene Gründe. Zum einen ist es die demographische Entwicklung. Die geburtenstarke Generation, die Baby Boomers, gehen in den kommenden Jahren oder sind bereits in Rente. Das führt dazu, dass mehr arbeitsfähige Personen den Arbeitsmarkt verlassen. Es gibt daher weniger Fachkräfte als offene Stellen. Diese Differenz führt zu einem Fachkräftemangel.

Ein weiterer Grund ist, dass die Erwartungen von Arbeitnehmenden höher geworden sind. Durch die Pandemie hinterfragen sie sich mehr Menschen, ob der jetzige Arbeitgeber noch zu ihren Vorstellungen passt. Viele von uns haben fast 2 Jahre von zuhause gearbeitet. Die Verschmelzung von Arbeit und Privatem kann und wollen viele Menschen nicht mehr trennen. Arbeitnehmende wünschen sich flexible Arbeitszeitmodelle und wollen selbst bestimmen, wann, wo und wie sie arbeiten. Ein Arbeitgeber, der diese Work-Life-Balance unterstützt, bevorzugen sie. Wenn ein Arbeitgeber wenig oder keine Flexibilität zeigt, sind viele Arbeitnehmende bereit, das Unternehmen zu wechseln.

Auch die Digitalisierung in all unseren Lebensbereichen führt zu neuen Herausforderungen in der Rekrutierung. Firmen, die noch genauso rekrutieren, wie vor 10 Jahren merken jetzt, dass sie nur mit einem gewöhnlichen Stelleninserat auf einem Jobportal, nicht mehr Kandidaten zur Bewerbung motivieren können. Die Rekrutierungsmethoden sind durch die Digitalisierung vielfältiger geworden. Um sich von der Konkurrenz abzuheben, braucht es mehr als ein Stelleninserat mit einer langen Liste von Anforderungen und mit einem Benefit wie gratis Früchte. Firmen entwickeln ihre Arbeitgebermarke weiter und andere, die in den letzten Jahren in diesem Bereich nichts gemacht haben, werden von der Konkurrenz überholt. So laufen die Arbeitnehmenden über. Wenn bestehende Mitarbeitende gehen und dazu noch neu geschaffene Positionen zu rekrutieren sind, dann haben Firmen doppelt Mühe geeignetes Personal zu finden.

Behandle Kandidaten wie deine besten Kunden.

Was kann ein potenzieller Arbeitgeber tun, um diese Herausforderungen zu meistern?

Eine vielschichtige Rekrutierungsstrategie hilft Arbeitgebern, als attraktiv wahrgenommen zu werden. Die Basis für jede Kommunikation – ob intern oder extern – sind die gelebten Unternehmenswerte. Darauf aufbauend ist die Rekrutierungsstrategie, sowie das Ausarbeiten der Arbeitgebermarke und die Definition der Bewerbungsprozesse. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, braucht es eine Rekrutierungsstrategie, die genau auf die Zielgruppe zugeschnitten ist. Stelleninserate erreichen nur die aktiv Stellensuchenden. Sie machen ca. 30% der Arbeitnehmenden aus. Die passiven Kandidaten, das sind Personen, die grundsätzlich offen sind für einen Stellenwechsel, sich jedoch nicht aktiv bewerben, machen ca. 60% der Arbeitnehmenden aus. Diese Daten beruhen auf LinkedIn Statistiken.

In vielen Branchen herrscht ein Arbeitnehmermarkt. Ich sage immer: «Behandle Kandidaten, wie deine besten Kunden.» Was meine ich damit? Stell dir vor, ein Kunde möchte ein Produkt bei dir bestellen. Nachdem du die Bestellung bekommen hast, meldest du dich einfach nicht. Was macht der Kunde? Er kauft bei der Konkurrenz und wird womöglich nie mehr wieder bei dir bestellen. Ein ähnliches Szenario höre ich immer wieder von Stellensuchenden. Ghosting nach einer Bewerbung, ist ein weitverbreitetes Phänomen. Es zerstört das Image des Unternehmens. Bewerbende könnten sich auch als Kunde vom Unternehmen abwenden. Die Folgen von Ghosting können gravierend für ein Unternehmen sein. Mit einem automatisierten Tool kann man dies gut unterbinden. Die Digitalisierung vereinfacht die administrativen Arbeiten, wie Absagen zu versenden.

Meiner Meinung nach wird dem Thema Recruiting in der Geschäftsführung immer noch viel zu wenig Beachtung geschenkt.

Wie kann ein Recruiter das Recruiting beeinflussen?

Als Unternehmen muss man die Grundlagen schaffen, damit ein Recruiter weiss, was und wie er/sie zu kommunizieren hat. Ein Recruiter ist heutzutage viel mehr als ein Mitglied des administrativen HR. Die Person verkauft und vermarktet das Unternehmen und betreut Kandidaten wie den Customer Service. Das Recruiting hat einen grossen Shift gemacht – vom Dossierlieferant zum Sparring Partner. Der Recruiter ist an vorderster Front und hat die Candidate Experience in der Hand. Ist einem Recruiter diese Rolle bewusst, kann die Person die Kandidaten betreuen und für sich gewinnen und die Stakeholder besser beraten.

Ich finde auch, dass Recruiter in den Strategien mitinvolviert werden müssen. Denn sie wissen, wie der Puls am Arbeitsmarkt schlägt und welche Massnahmen funktionieren und welche nicht. Auch Firmen mit HR-Generalisten, sollten das Thema Recruiting Strategie auf die Prioritätenliste setzen. Meiner Meinung nach wird dem Thema Recruiting in der Geschäftsführung immer noch viel zu wenig Beachtung geschenkt. Die Wichtigkeit der Personalgewinnung sollte für jedes Unternehmen höchste Priorität haben. Ich sehe dies sogar bei multinationalen Konzernen, die das Recruiting nicht mit Prio behandeln. Das Recruiting hat viel mit Kennzahlen zu tun. Um das Management von der Wichtigkeit überzeugen zu können, sollten Recruiter mit handfesten Fakten und Daten kommunizieren.

Firmen, die das Recruiting als Kostenfaktor und administrative Schnittstelle sehen, werden in den kommenden Jahren noch viel grössere Mühe haben, geeignetes Personal zu finden.

Welche Methoden gibt es, um trotz Fachkräftemangel zeitnah zu passenden Kandidat:innen zu kommen?

Der passive Kandidatenmarkt birgt das grösste Potential. Ob mit Active Sourcing oder Performance Recruiting, mit diesen zwei Methoden werden Kandidaten direkt angesprochen. Die Basis ist eine klar definierte Candidate Persona. Wenn man weiss, wie die Zielgruppe tickt und wo sie zu finden ist, kann man mit der richtigen Kommunikation diese Personen für sich gewinnen. Sehr gute Erfahrungen mache ich auch mit Mitarbeitenden Empfehlungen. Doch hier gilt, nur wenn das Unternehmen top ist, werden die Mitarbeitenden den Arbeitgeber Freunden und Kollegen empfehlen. So sind wir wieder bei den Unternehmenswerten angekommen.

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